Wir fuhren spät in der Nacht von einem Konzert heim, auf der beinahe zur Ruhe gekommenen Autobahn zwischen der deutsch-holländischen Grenze und dem Sauerland, deutsche Landschaft. Licht, von weitem zu sehen: Auf der Gegenfahrbahn brannte ein LKW, der ganze Aufleger hatte Feuer gefangen. Die Plane war längst verschmort, die Flammen streckten sich hoch über das Gerippe des Aufbaus und loderten im Dunklen. Stille, keine Einsatzkräfte. Nur der brennende Sattelzug in finsterer Nacht.
Als wir weiterfuhren, kamen Police auf dem Tapedeck. Ich saß leicht betrunken und müde vorne im Bus neben einer Frau, mit der ich nicht glücklich war, und Sting sang "Love can change your life/but love can break your heart".
Sedmak - 16. Dez, 11:40
Rettenkogel 1.781 Meter, 1:1 dokumentiert an einem 29. August
Zum Gedenken
an
Dr. Gerhard Gruber
der hier am 16. Juni 1991
tötlich verunglückte
***
Wir gedenken unserem
Bergkameraden
Erich Lamisch
verungl. 26. Juli 1990
im 40. Lebensjahr
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Stöhr Rudolfine
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Im Gedenken an die
verfolgten Glaubensbrüder
K.A.J.
Bad Ischl 1956
Sedmak - 13. Dez, 15:24
Unten regnete es aus einem nebelverhangenen Himmel, längst war es finster. Die Stirnlampe leuchtet ein paar Schritte weit, nicht mehr. Durch das große Loch im Zaun durch den Wald hinauf zur Wildfütterung und dann in einem warm gelaufenen Körper, der in den kalten Dezemberabend abstrahlt, stetig nach oben in der relativen Gewissheit, zu dieser Stunde der einzige Mensch im Reich von Jainzen 834 m zu sein. Auf gut zwei Drittel Höhe verstummt der Klang des auf die abgestorbenen Blätter fallenden Regens, und was du hier hören kannst, ist die Stille der Schneefallgrenze – die Tropfen von oben bleiben als Schneeflocken auf der Handfläche liegen. Ganz oben liegt bereits eine dünne Schicht Schnee auf dem nassen Laub, und die Luft ist klarer, trockener als noch unten.
(Höhenschichtluftwechsel: Manchmal führt der Weg nach oben aus einer feuchten Atmosphäre drückender Verstrickung über eine tief hängende Wolkendecke hinauf ins Freie.
Es ist dann, als würdest du auftauchen und unter den Sternen wieder atmen können.)
Sedmak - 12. Dez, 09:08
Gehst du in einer dieser speziellen Föhnnächte, wenn der Mond gefährlich-schön voll am tiefblauen Himmel über vereinzelten Wolkenkreuzern steht, an der Jainzensüdseite nach Westen, kannst du mit erschreckender Deutlichkeit spüren, dass der Berg lebendig geworden ist und Fahrt aufgenommen hat. Ohne dass du es sehen oder hören könntest gleitet der Jainzen wie ein Schlachtschiff westwärts. Man kann es mit der Angst zu tun bekommen.
Sedmak - 8. Dez, 20:27
Der Gipfel des Jainzen ist nicht eigentlich der Gipfel, sondern ein ausgetretenes Plateau deutlich unterhalb des höchsten Punktes, der weiter oben auf einer Kuppe im Buchenmischwald liegt. Hier gibt es kein Kreuz, sondern einen Vermessungspunkt – eine orange lackierte Eisenstange mit Koordinatenangaben und angeschweißter Aluminumbox, in der sich zwei Gipfelbücher befinden. Ein allgemeines, in das sich vorwiegend die aus dem Alpenvorland Angereisten eintragen und eines, in dem die Dauergeher Strichlisten über die Frequenz ihrer Jainzenbegehungen führen.
Nach Süden reicht der Blick an klaren Tagen hinüber zum Dachstein, der in den richtigen Momenten wie ein Stück Arktis in der Sonne gleißt; nach Westen zur Katrin gegenüber und über Hainzen, Rosskopf, Ahornfeld, Rettenkogel, Sparber und Bleckwand bis zum gugelhupfartigen Bürgelstein auf ein Stück Wolfgangsee und den Zwölferhorn; nach Norden schneidet das mehrfach rund eingeschnittene Trapez der Zimnitz, die im Winter ihre volle Pracht entfaltet und an manchen Tagen, wenn der untere Teil des Berges im Frühnebel verborgen ist, einem der hohen Berge im Himalaya ähnelt, die Weitsicht ab. "ZImnitz", ein magischer Name, leitet sich von einem slawischen Wort ab, das "Winterberg" bedeutet.
Zu Füßen des Jainzen, nach Westen hin, sind Reihen und Reihen von Häusern die Wiesen entlang gekrochen. An der Bundesstraße haben Diskonter das vorhandene Land gefressen. Wo Freunde als Kinder am Waldrand auf der Wiese zur Schule gegangen sind, versperren Zäune den Weg, und wenn sie versuchen, auf ihren alten Pfaden zu gehen, fühlen sie sich wie die nordamerikanischen Indianer nach der Enteignung ihrer Jagdgründe und Lebensräume durch die ersten, zweiten und dritten Weißen.
Sedmak - 7. Dez, 18:11
Jainzen 843 m, 13°37’ 47°43’. Auf einer der letzten Geraden vor dem Schlussstück des Weges, auf dem du die letzten Höhenmeter machst, steht das Ende einer Wurzel aus der Böschung und ähnelt frappant zum Beispiel einem Otter. Es begann damit, dass einer der zahlreichen anonymen Jainzengeher dem Wesen aus Holz ein rotes Bändchen mit einer kleinen Glocke um den Hals band. Später malte ihm jemand mit Edding ein Gesicht: Augen, Nase und Mund.
An warmen Wintertagen apert der Otter schnell aus und streckt der Sonnen seinen Holzkopf entgegen. Als hätte er ein Lächeln für die Einzelgeher oder die Prozessionen an den Sonntagen.
Sedmak - 6. Dez, 16:33
Am Tisch in der Stube im Tirolerwirt, wo wir auf der Heimfahrt Visite machten, erfuhr H., mein Tischnachbar, per Mobiltelefon von einem Freund, den er zu treffen erwartet hatte, das diesen eine unfallbedingte Straßensperre vorerst am Kommen hindern würde. Mehrere Telefonate später, nach denen wir unter anderem wussten, dass auch H.s Schwester im Stau auf der 'Langwieser Geraden' stand, läutete es wieder. H. verlor die Fassung und die Farbe im Gesicht, als er hören musste, dass es die ältere Schwester eines seiner besten Freunde war, die auf dem schnurgeraden Straßenstück vor den Augen ihrer drei kleinen Kinder überfahren worden und an der Unfallstelle gestorben war.
Schweigen am Tisch.
Die anderen beiden am Tisch Anwesenden, die das Opfer ebenfalls gekannt hatten, nahmen dann zögernd den Gesprächsfaden auf und sprachen über die Verstorbene – nach wenigen Sätzen, in denen sie das Geschehene verinnerlichten, nur mehr in der Vergangenheit, ohne wieder zurück ins Präsens zu kehren, so als sei die Frau schon lange tot.
Sedmak - 5. Dez, 11:22
Über Jahre wohnten wir im Haus, das niemals schlief. Bis sechs am Abend gab es im Erdgeschoß unter uns Brot zu kaufen, und noch um ein vieles länger, bis spätabends, sprachen die Stammgäste im angeschlossenen kleinen Café dem Alkohol zu. Legten wir uns nach Mitternacht hin, war in der Backstube unten schon der erste Bäcker zugang und mischte die Teige an.
Im Lauf der Nacht, nach den stilleren Stunden bis drei, verdichtete sich die Arbeit zu einem schnellen Hantieren, zu einem Kommen und Gehen zwischen Backstube, Einzählkammer und Lieferwagen, die Hitze der Öfen bis ins Stiegenhaus hinaus.
Nur am Sonntag war es gespenstisch still.
So still, wie es jetzt im Haus ist, aus dem wir längst ausgezogen sind.
Der Bäcker starb, bankrott gegangen, einen Tag vor seinem sechzigsten Geburtstag bei einem Autounfall; seine Frau hatte sich schon Monate davor zu Tode getrunken.
Sedmak - 4. Dez, 10:03