Chronologien
Ich nahm homöpathische Medizin, wurde unzufrieden und stellte mein Leben in Frage.
Sedmak - 13. Mär, 09:02
Kürzlich war ich, wo ich aufgewachsen bin. Vieles ist noch so wie es vor 30, vor 25, vor 20 Jahren war. Häuser, das Kopfsteinpflaster, bestimmte Bäume. Erstaunlich. Erstaunt war ich aber vor allem, wieviele Vorgärten einem Carport oder einer Garage gewichen oder dadurch viel kleiner geworden sind. Auch der ruhende Verkehr schlägt seine Schneisen. Gib mir Bequemlichkeit oder den Tod.
Sedmak - 5. Mär, 10:04
Ich erinnere mich. Als Omama starb und ihre Urne auf dem kleinen Dorffriedhof im Defereggental beerdigt werden sollte, da gingen mein Vater und mein älterer Bruder am Nachmittag hinauf, um das Grab zu schaufeln, und ich weiß noch, dass ich das schön fand, diese Geste, diese letzte Tat für jemanden und dass ich mich ein wenig leid sah, weil ich nicht mitgehen sollte.
Sedmak - 26. Feb, 14:27
In jenem Jahr in Wien in der schmuddeligen U1-Station, deren Namen ich vergessen habe, es ist die letzte vor der Endstation Reumannplatz, war ich wie gebannt vom Schreien einer alten offensichlich obdachlosen Frau, die mit ihren Taschen vor der Toilettentür in einem der Zugangstunnels stand und mit verzweifelter Dringlichkeit nicht lautstark, sondern schreiend um eine kleine monetäre Zuwendung für das Münzschloss der Damentoilette flehte:
Ich brauch an Schülling.
Gebt's ma an Schülling, hobt's a Einsegn, Leit.
Ich brauch an Schülling, i muass doch scheissn.
Das ging so lange, bis sich jemand erbarmte, und ich war im Angehör dieser archaischen Performance immer noch wie vom Donner gerührt.
Sedmak - 8. Feb, 09:17
Mit leeren Händen bin ich in die Welt gekommen, mit leeren Händen werde ich wieder aus der Welt gehen.
Janosch sagt es so:
Ade du Welt,
der Kasper muss nun sterben.
Hatte kein Gut und auch kein Geld
und keiner wird was erben.
Sedmak - 28. Jan, 12:42
Mein toter Freund Martin Wiener hatte eine Drehbuchidee für einen Thriller: Ein eiskalter Psychopath nimmt die in einem Restaurant Anwesenden als Geiseln. Niemand darf auch nur ein Wort sagen. Klingelt ein Mobiltelefon, wird der bzw. die BesitzerIn augenblicklich erschossen.
Sedmak - 24. Jan, 11:11
Der Schlaf schafft einen annähernden fließenden Übergang zwischen dem Leben im Kokon der Gebärmutter und der Welt außerhalb. Im Halbschlaf trinkt das Neugeborene, um nach diesem anstrengenden Nahrungsaufnehmen wieder tief einzuschlafen und Stunden in den Armen seiner Eltern zuzubringen, in einem seligen Dämmerzustand, der nur kurz von Wachphasen und den Erfordernissen des Organismus unterbrochen wird. Noch gibt es weder Tag noch Nacht, nur ein zeitloses Kontinuum des Versunkenseins.
Sedmak - 10. Jan, 15:00
Mein jüngster Sohn wurde geboren und einige Nächte später träumte ich, er hätte den Mund geöffnet und aus seinem Unterkiefer seien schon zwei Zähne gewachsen, vorne in der Mitte.
Sedmak - 8. Jan, 15:21
Zwischen Haus und Fluder, nahe dem laublosen Nussbaum, saßen wir zu dritt an einem kleinen Gartenfeuer zur Wintersonnenwende, schauten gewärmt Glut und Flamme an, nahmen ein leises Gespräch auf und ließen es wieder ruhen, verbrannten kleine Zettel mit Notizen darüber, was wir nicht als Ballast ins nächste Jahr mitnehmen wollen würden. Auf dem riesigen leeren Parkplatz des Einkaufszentrums am Ufer gegenüber näherte sich ein einzelnes Auto, fuhr in den uns nächst gelegenen Winkel, blendete uns kurz und entfernte sich wieder. Es war die Nachtstreife der Polizei, die nach dem Rechten gesehen hatte.
Nun werden die Tage wieder länger, noch unmerklich.
Sedmak - 23. Dez, 11:23
Am Tisch in der Stube im Tirolerwirt, wo wir auf der Heimfahrt Visite machten, erfuhr H., mein Tischnachbar, per Mobiltelefon von einem Freund, den er zu treffen erwartet hatte, das diesen eine unfallbedingte Straßensperre vorerst am Kommen hindern würde. Mehrere Telefonate später, nach denen wir unter anderem wussten, dass auch H.s Schwester im Stau auf der 'Langwieser Geraden' stand, läutete es wieder. H. verlor die Fassung und die Farbe im Gesicht, als er hören musste, dass es die ältere Schwester eines seiner besten Freunde war, die auf dem schnurgeraden Straßenstück vor den Augen ihrer drei kleinen Kinder überfahren worden und an der Unfallstelle gestorben war.
Schweigen am Tisch.
Die anderen beiden am Tisch Anwesenden, die das Opfer ebenfalls gekannt hatten, nahmen dann zögernd den Gesprächsfaden auf und sprachen über die Verstorbene – nach wenigen Sätzen, in denen sie das Geschehene verinnerlichten, nur mehr in der Vergangenheit, ohne wieder zurück ins Präsens zu kehren, so als sei die Frau schon lange tot.
Sedmak - 5. Dez, 11:22