Jainzen 834 m

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Zweiter Schnee

So leise war es, dass der zweite Schnee oben im Gipfelbereich, oder war es schon der dritte, der gepresst aus dem Profil der Schuhsohle zurück auf den Boden fiel, ein Geräusch machte, als ginge jemand direkt hinter mir. Mehrmals drehte ich mich um.

Freitag, 13. Juni 2008

Onkel Auer, der wilde Hund

Onkel Auer, der wilde Hund tritt auf seinem Bergdreckhügelabrad hinauf bis zu Sophiens Doppelblick und noch das letzte Stück weiter auf dem Fußweg auf Jainzen 834 m, bis er sich den
Rahmen über die x-fach demolierte Schulter heben und es tragen muss. Oben setzt er sich den Helm mit dem weit vorstehenden Kinnspitz auf und schockiert die schnaufenden Wanderer, indem er ihnen in einem durch auf dem Rad entgegenbrettert. Nur an der kleinen Steilstufe ganz oben muss er den Fuss vom Pedal nehmen, um die Balance zu halten. Onkel Auer, der wilde Hund.

Montag, 19. November 2007

Schnee, erster und zweiter

Der erste Schnee fiel Ende Oktober, der zweite eine gute Woche später.
In einer bedeckten Nacht ging ich aus dem alten kaiserlichen Küchengebäude hinaus in die Dunkelheit. HInter mir erhob sich Jainzen 834m in strahlendem Weiß, formvollendet, sich selbst
genügend und voller Kraft.

Dienstag, 8. Mai 2007

Lokalaugenschein im Mai

Die Laubbäume voll und grün, der Weg wie je und eh,
Steinchenmänner an vier oder fünf Kehren oben,
der Wurzelkopf beinahe barock geschmückt.
Nach Osten hinüber und hinunter noch immer
und vermutlich lange noch die Spuren des Orkans:
Entwurzelte Buchen, mitsamt ihrer Wurzelbasis umgeschlagen,
zwei Meter über Boden abgefetzte Fichten.
Der Weg ist ausgeschnitten und verlassen.

Freitag, 29. Dezember 2006

Die Toten

Am Fuß der Westseite von Jainzen 834 m liegt der Doppelblick. Eine Anhöhe mit einer Handvoll Häusern und einem Blick weit ins Ischltal hinaus und zum Dachstein hinüber. Hier steht eine Kapelle, knapp größer als ein Mensch, nach vorne offen und zu klein, um einzutreten, in der die Katastralgemeinde Jainzen jener ihrer Bürger gedenkt, die in den Weltkriegen um ihr Leben gekommen sind: Zwei gerahmte Drucke mit den Bildern von erschütternd jungen Männern mit klassischen Gesichtern, wie es sie heute nicht mehr oft oder wenn dann nur an älteren Menschen zu sehen gibt. So jung gestorben, so sinnlos. Die Nachnamen haben sich erhalten, die gängigen Vornamen von damals sind längst nicht mehr populär. Nachts taucht eine Kerze im roten Plastikmantel all das in ein weiches Licht.

Mittwoch, 20. Dezember 2006

Steinmänner

Die Gemeinschaft der Jainzengeher selbst ist unsichtbar, doch sie manifestiert sich im Erhalten der Begehbarkeit des Weges durch kollektive Nutzung im Winter und im unaufhörlichen Errichten von Steinmännern an den oberen Kehren, die anders als im hochalpinen Gelände nicht der Orientierung dienen, sondern – zumindest denke ich so – als Ehrung der Geister, des genius loci gleichermaßen wie als Land Art zu verstehen sind.
Stein für Stein tragen die anonymen Geher zum Teil ansehnlich hohe Kegel zusammen, bis entweder ein boshaft gesonnener Mensch die gemeinschaftliche Mühe zu Nichte macht und die Wegmarken umtritt oder der Schnee das Werk der Zerstörung besorgt.

In Tibet heißt es, wie ich von Boris Nieslony gehört habe, unter den Mönchen, dass ein Stein sich jahrelang nicht darüber beruhigen kann, wenn er von seinem ursprünglichen Platz genommen wird. Was also würde ein tibetischer Mönch hören, stiege er auf den Jainzen?

Montag, 18. Dezember 2006

Die Rinne

Knapp unterhalb des Gipfelplateaus, nach vielleicht hundert Metern nördlich zurück auf dem Weg, beginnt die große Rinne, die kontinuierlich steil und mit mehreren Felsstufen versetzt fast bis zum Bergfuß hinunterführt und mehrfach die Kehren des im weiten Zickzack angelegten Normalweges streift. Die beste Zeit zum Begehen der Rinne ist die vom Hochwinter an, wenn der Schnee hüfthoch liegt. Der Kofferhändler aus dem Kreis der Dauergeher begeht sie ab und an, doch meistens ist die Rinne jungfräulich und unverspurt, von den Wildwechseln abgesehen.
Wer sich ein Herz fasst und oben einsteigt, durchrauscht im Graubereich zwischen Steigen und Rutschen in zehn, fünfzehn glücklichen Minuten fast vierhundert Höhenmeter und kann sich fühlen wie damals, als Kind.

Dienstag, 12. Dezember 2006

Höhenschichtluftwechsel

Unten regnete es aus einem nebelverhangenen Himmel, längst war es finster. Die Stirnlampe leuchtet ein paar Schritte weit, nicht mehr. Durch das große Loch im Zaun durch den Wald hinauf zur Wildfütterung und dann in einem warm gelaufenen Körper, der in den kalten Dezemberabend abstrahlt, stetig nach oben in der relativen Gewissheit, zu dieser Stunde der einzige Mensch im Reich von Jainzen 834 m zu sein. Auf gut zwei Drittel Höhe verstummt der Klang des auf die abgestorbenen Blätter fallenden Regens, und was du hier hören kannst, ist die Stille der Schneefallgrenze – die Tropfen von oben bleiben als Schneeflocken auf der Handfläche liegen. Ganz oben liegt bereits eine dünne Schicht Schnee auf dem nassen Laub, und die Luft ist klarer, trockener als noch unten.

(Höhenschichtluftwechsel: Manchmal führt der Weg nach oben aus einer feuchten Atmosphäre drückender Verstrickung über eine tief hängende Wolkendecke hinauf ins Freie.
Es ist dann, als würdest du auftauchen und unter den Sternen wieder atmen können.)

Freitag, 8. Dezember 2006

Wenn der Berg die Segel setzt

Gehst du in einer dieser speziellen Föhnnächte, wenn der Mond gefährlich-schön voll am tiefblauen Himmel über vereinzelten Wolkenkreuzern steht, an der Jainzensüdseite nach Westen, kannst du mit erschreckender Deutlichkeit spüren, dass der Berg lebendig geworden ist und Fahrt aufgenommen hat. Ohne dass du es sehen oder hören könntest gleitet der Jainzen wie ein Schlachtschiff westwärts. Man kann es mit der Angst zu tun bekommen.

Donnerstag, 7. Dezember 2006

Verbautes Land

Der Gipfel des Jainzen ist nicht eigentlich der Gipfel, sondern ein ausgetretenes Plateau deutlich unterhalb des höchsten Punktes, der weiter oben auf einer Kuppe im Buchenmischwald liegt. Hier gibt es kein Kreuz, sondern einen Vermessungspunkt – eine orange lackierte Eisenstange mit Koordinatenangaben und angeschweißter Aluminumbox, in der sich zwei Gipfelbücher befinden. Ein allgemeines, in das sich vorwiegend die aus dem Alpenvorland Angereisten eintragen und eines, in dem die Dauergeher Strichlisten über die Frequenz ihrer Jainzenbegehungen führen.

Nach Süden reicht der Blick an klaren Tagen hinüber zum Dachstein, der in den richtigen Momenten wie ein Stück Arktis in der Sonne gleißt; nach Westen zur Katrin gegenüber und über Hainzen, Rosskopf, Ahornfeld, Rettenkogel, Sparber und Bleckwand bis zum gugelhupfartigen Bürgelstein auf ein Stück Wolfgangsee und den Zwölferhorn; nach Norden schneidet das mehrfach rund eingeschnittene Trapez der Zimnitz, die im Winter ihre volle Pracht entfaltet und an manchen Tagen, wenn der untere Teil des Berges im Frühnebel verborgen ist, einem der hohen Berge im Himalaya ähnelt, die Weitsicht ab. "ZImnitz", ein magischer Name, leitet sich von einem slawischen Wort ab, das "Winterberg" bedeutet.

Zu Füßen des Jainzen, nach Westen hin, sind Reihen und Reihen von Häusern die Wiesen entlang gekrochen. An der Bundesstraße haben Diskonter das vorhandene Land gefressen. Wo Freunde als Kinder am Waldrand auf der Wiese zur Schule gegangen sind, versperren Zäune den Weg, und wenn sie versuchen, auf ihren alten Pfaden zu gehen, fühlen sie sich wie die nordamerikanischen Indianer nach der Enteignung ihrer Jagdgründe und Lebensräume durch die ersten, zweiten und dritten Weißen.

Florian Sedmak

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